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Im Rahmen der FIRMENHILFE-Veranstaltung „Selbstständig zum Schein? Theorie und Praxis zum Thema Scheinselbstständigkeit“ hat Rechtsanwalt Holger Thieß, Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht, einen Überblick über Theorie und Praxis der Scheinselbstständigkeit gegeben. Nachfolgend findest du eine Zusammenfassung.
Freiberufler*innen und Solo-Selbstständige laufen bei bestimmten Aufträgen Gefahr als „scheinselbstständig“ eingestuft zu werden. Selten kann einem jemand auf Nachfrage eindeutig sagen, wann Scheinselbstständigkeit vorliegt und wann nicht. Auch die Konsequenzen einer nachträglich festgestellten Scheinselbstständigkeit und das Risiko sind oft unklar.
Wie muss sich nun die Situation darstellen, damit der Sozialversicherungsträger bei Betriebsprüfungen eine Scheinselbstständigkeit von freien Mitarbeiter*innen eines Unternehmens vermutet? Welche Kriterien veranlassen die Prüfer*innen, näher hinzuschauen?
Zentral ist hier die Vermutung, dass der Selbstständige nur formell als selbstständig auftritt, in Wirklichkeit aber eine „persönliche Abhängigkeit“ vom Auftraggeber besteht und der Selbstständige deshalb als „Beschäftigter“ (Arbeitnehmer) gilt. Der formale Vertrag, den der Selbstständige mit seinem Auftraggeber geschlossen hat, ist für die Rentenversicherung nur nebensächlich. Beurteilt wird die „gelebte Praxis“ der Arbeitsbeziehung.
Der Rechtsanwalt Holger Thieß hat im Rahmen unserer FIRMENHILFE Expertentipps hierzu zwei Interviews zu diesem Problemfeld gegeben.
Kriterien, die für eine solche „persönliche Abhängigkeit“ sprechen sind (mit abnehmender Wichtigkeit):
Bei Verdacht auf Scheinselbstständigkeit erfolgt ein sogenanntes Statusfeststellungsverfahren der Rentenversicherung (Clearingstelle DRV). Hierzu erfolgt eine Befragung von Auftraggeber*in und Auftragnehmer*in anhand eines Fragebogens.
TIPP: Wenn du selbst eine bessere Einschätzung und mehr Klarheit darüber bekommen möchtest, wie groß dein Risiko der Scheinselbständigkeit ist, bietet es sich an, den Fragebogen der Rentenversicherung einmal für dich auszufüllen. Du erhältst ihn hier zum Download. Wenn du aus Hamburg kommst, kannst du diesen Fragebogen gerne für ein Feedback an die FIRMENHILFE schicken.
Welche Folgen hat es nun, wenn du von der Rentenversicherung als scheinselbstständig eingestuft wirst? Das Risiko für den Selbstständigen bleibt überschaubar. Zunächst muss der bisherige Auftraggeber alle rückständigen Gesamtsozialversicherungsbeiträge (inkl. Arbeitnehmeranteil) zzgl. Säumniszuschläge und Bußgeld bis zu vier Jahre rückwirkend nachzahlen. Der Auftraggeber darf maximal für drei Monate durch Einbehalt auf die Bezüge des Selbstständigen zurückgreifen. Soll die Zusammenarbeit fortgesetzt werden, kann dies jetzt nur noch im Arbeitnehmerstatus erfolgen.
ACHTUNG Sonderfall! Eine Ausnahme stellt die Einstufung als „arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger“ dar. Dies ist dann der Fall, wenn ein*e Unternehmer*in nach den oben beschriebenen Kriterien zwar kein Scheinselbstständiger ist, aber im Wesentlichen (mit mehr als 5/6 seines Umsatzes) nur für einen Auftraggeber tätig ist. In diesem Fall besteht Rentenversicherungspflicht und der Selbstständige muss die vollen Rentenbeiträge selbst zahlen.
Nach wie vor existiert eine große Unsicherheit bei vielen sogenannten Solo-Selbstständigen, ob sie nun scheinselbstständig sind oder nicht.
Das neue Gesetz, welches ursprünglich zu mehr Klarheit und Unsicherheit führen sollte, hat eher für viel Unsicherheit bei allen Beteiligten gesorgt, sowohl bei den Auftraggeber*innen als auch bei den Auftragnehmer*innen.
Auftraggeber*innen machen sich Gedanken über rechtssichere Verträge und die Auftragnehmer*innen rätseln, ob das dann auch alles einer Überprüfung standhält.
Auch im IT-Bereich gibt es sehr viele Solo-Selbstständige, die aufgrund der Dienstleistung, die sie erbringen, immer wieder Gefahr laufen können, bestimmte Kriterien der Scheinselbstständigkeit zu erfüllen.
Speziell für diese Zielgruppe und um eine grobe Annäherung an die Beantwortung der Frage: „Bin ich (möglicherweise) scheinselbstständig“? zu ermöglichen, hat Christa Weidner zusammen mit dem Rechtsanwalt Dr. Benno Grunewald einen „Scheinselbstständigkeits-Navigator“ auf der Basis eines Online-Fragebogens entwickelt. Grundsätzlich können auch Solo-Selbstständige aus anderen Bereichen dieses Tool nutzen.
Dieser Navigator kann von den Auftraggeber*innen und den Auftragnehmer*innen genutzt werden, um eine erste Einschätzung zu bekommen.
Dieses umfasst er insgesamt 40 Fragen zu den Punkten, die auch für die DRV Prüfgegenstand sein könnten.
Es liegt in der Sache dieser komplexen Materie, dass viele Fragen nicht einfach mit Ja/Nein zu beantworten sind, bzw. noch einer Erläuterung bedürften. Dies wiederum würde aber auch Spielraum bei einer eventuellen Überprüfung ermöglichen.
So können nun auch z.B. bei der Feststellung, ob ein echtes „Unternehmerisches Auftreten“ vorliegt, Punkte geprüft werden wie: Ist das überprüfte Mitglied in einem Berufsverband, hat er ein eigenständiges und kostenpflichtiges Profil auf einer Branchen-Plattform, besteht eine Berufshaftpflicht?
Auf jeden Fall kann es die Sensibilität für kritische Vertragspunkte erhöhen und die Auftragnehmer*innen können auf die entsprechende Formulierung der selbigen hinwirken.
Unter nachfolgendem Link kann der Scheinselbständigkeitsnavigator kostenfrei genutzt werden.
Eine absolute Sicherheit gibt es nur, wenn die oben genannten Aspekte einer Prüfung standhalten und in der Praxis auch nachweislich so gelebt werden.
Hier wird sich weiterhin viel tun, wir halten dich auf dem Laufenden!
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